Sonntag, 3. April 2011

Kreative Organisationen brauchen Bürokratie - Sie wollen Kreativtät organisieren? - folgen Sie Max Weber und und werden Sie Bürokrat

Eine große, internationale Werbeagentur ist unzufrieden mit ihrem Wachstum. Die Neukundengewinnung macht Sorgen, da die Quote gewonnener Pitches sinkt.

Eine erste Analyse über die Ursachen zeigt, dass potentielle Kunden unzufrieden mit der kreativen Leistung der Agentur sind. Ganz anders ist das Bild bei den Verantwortlichen innerhalb der Agentur.  Hier werden die unterschiedlichsten Gründe für einen Verlust genannt. Ein klares, gemeinsames Bild fehlt.

Die Geschäftsführung beschließt, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die die Situation analysieren und Vorschläge für eine Optimierung machen soll.  Schnell kommt heraus, dass es nicht ein Bild gibt, sondern nur unzählige Teilbilder, die kein durchgängiges Mosaik ergeben.

Ursprünglich vorgegebene Abläufe, in denen eine Pitch Präsentation erarbeitet werden soll, sind nicht eingehalten. Die  Pitch Teams haben sich alle eigene Arbeitsweisen angeeignet. Die Maßstäbe für gute und schlechte Arbeit unterscheiden sich fast noch mehr als die Arbeitsweisen. Was von einem Team als gute Kreativität bezeichnet wird, stellt für das andere einen schlechten Entwurf dar.

Diese Heterogenität der Arbeitsweise erstreckt sich nicht auf die internen Prozesse, sondern auch auf die Arbeit mit und beim Kunden. Einige Teams beziehen die Kunden in ihre Arbeit mit ein, andere ignorieren sie bewusst: Motto: der Kunde stört die Kreativität. Arbeitsweisen wie Ergebnisse werden energisch gegen interne wie externe Kritik verteidigt. Jedes Team ist überzeugt davon, den richtigen Weg gefunden zu haben.

Die Geschäftsführung ist sich schnell darüber klar, dass hier Kräfte und Energien verschleudert werden. Kreativität im Ergebnis kann aus ihrer Sicht nicht durch kreative unterschiedliche Arbeitsformen gegeben sein. Insbesondere die Standards, was ein guter und was ein schlechter Entwurf ist, müssen für die Geschäftsführung vergleichbar sein, um führbar zu werden.

Auf der anderen Seite weiß die Geschäftsführung um die Schwierigkeit der Vorgabe zentraler Maßstäbe und Arbeitsweisen gerade in diesen kreativsten Bereichen ihrer Organisation. Appelle, das weiß die Geschäftsführung aus Erfahrung, verhallen. Führungsanweisungen werden, wenn nicht ignoriert, so doch kreativ umgegangen. Was tun?

Die Geschäftsführung beschließt einen bürokratischen Prozess einzuführen d.h. nach Max Weber

  " Ein kontinuierlicher, regelgebundener Betrieb von Amtsgeschäften, innerhalb einer Kompetenz (Zuständigkeit), welche bedeutet:
   a) einen kraft Leistungsverteilung sachlich abgegrenzten Bereich von Leistungspflichten, –
   b) mit Zuordnung der etwa dafür erforderlichen Befehlsgewalten und
   c) mit fester Abgrenzung der eventuell zulässigen Zwangsmittel und der Voraussetzungen ihrer Anwendung" (*)

Sie lässt die Arbeitsgruppe Standards für die Beurteilung von kreativen Arbeiten entwickeln. Die Vorschläge werden im Kreise der Führungskräfte diskutiert, konsolidiert und als verbindliche Vorgaben verabschiedet. (Absichtsvoll gesetzte Regeln - siehe oben)

Diese Standards werden  in Bewertungsmaßstäben operationalisiert und in einem Beurteilungsformular umgesetzt . (Formularprinzip)

Jede Präsentation für einen Pitch muss vorab durch mindestens zwei fachlich kompetente Nichtteammitglieder bewertet werden.  Beide Bewertungen müssen unterabgestimmt an eine Controlling Stelle weitergereicht werden.  In dieser Stelle wird dann auf Basis der Bewertungen über die Freigabe entschieden.  Hierzu ist ein überschaubares Regelwerk entwickelt (beide Bewertungen müssen zum Beispiel über 70% Zustimmung sein), anhand dessen entschieden wird (kontinuierlicher regelgebundener Betrieb von Amtsgeschäften).

Die Entscheidung erfolgt durch einen von den kreativen Teams unabhängigen,  direkt an die Geschäftsleitung  berichtenden Art Direktor (Prinzip der vollen Trennung des Verwaltungsstabs von den Verwaltungs- und Beschaffungsmitteln).

Entscheidungen dieser Stelle sind unumstößlich und können nur durch schriftliche Eingabe bei der Geschäftsführung über einen nach besonderen Regeln durchlaufenen Prozess widerrufen werden (Zuordnung der erforderlichen Befehlsgewalten).
Widersetzt sich ein Team der getroffenen Entscheidung, erfolgt eine Abmahnung der Teammitglieder, bei nochmaligem Verstoß die Entlassung (feste Abgrenzung der eventuell zulässigen Zwangsmittel).

Nach einer nicht ganz einfachen Anfangsphase hat sich der vorgegebene Prozess gefestigt. Durch die wechselseitigen Beurteilungen haben alle relevanten Führungsmitglieder des kreativen Bereichs ein vergleichbares, transparentes Bewertungskriterium für das Gut oder Schlecht einer Kundenpräsentation entwickelt.  Die Anzahl und Quote der gewonnenen Pitches ist gestiegen, gleichzeitig aber auch die Zahl der zurück gewesenen Präsentationen, die nicht beim Kunden zum Einsatz kommen. Ein Team musste aufgrund mehrerer Verstöße gegen die neuen Regularien entlassen werden. Seit diesem Vorfall werden die Regeln eingehalten.





Das ist in bester Ordnung, denn:

Wie schützt man eine kreative Organisation vor sich selbst?

Die Frage ist nicht trivial, denn gerade kreative Organisationen neigen dazu, sich selbst zu verlieren.  Dieses gilt um so mehr, da gerade das neu erfinden Gegenstand der Organisation und Zweck des Geschäftsmodells ist. Gerade erfolgreiche kreative Organisationen besitzen Mitarbeiter, die mit ihrer großen Kreativität eben auch Schaden anrichten können.

Hier wirkt nur das härteste Mittel, das Menschen im Bereich von Organisationen erfunden haben, um Stabilität, Wiederholbarkeit und Selbstähnlichkeit sicherzustellen: die Bürokratie.  Einmal eingeführt, so Max Weber, geht sie nur durch den Untergang des sie unterstützenden Gesamtsystems zu Grunde. Sie ist der härteste organisatorische Beton, den die Menschen erfunden haben, um Organisationen gegen die Widrigkeiten des Lebens zu härten und eben gerade Wiederholbarkeit und gleiche Behandlung unabhängig vom jeweiligen Vorfall sicherzustellen.

Kreative Organisationen brauchen Bürokratie

Ohne dieses Skelett aus harten Organisationsregeln, die sich selber verstärken und unabhängig von der Kreativität und den Inventionen der Organisation sind, zerfließen kreative Organisationen wie ein Pudding ohne Form.

Gerade kreative Organisationen besitzen deshalb immer einen harten bürokratischen Kern.  Er ist meist auf Unternehmensfunktionen konzentriert, die für das Überleben der Organisation als Organisation existenziell sind: das Rechnungswesen, das Controlling (einfache, harte Zielsetzungen, die nicht diskutierbar den Erfolg oder Nichterfolg anzeigen), die Beförderung, der Dienstwagen, die Abrechnung gegenüber den Kunden.

Organisationen brauchen Bürokratie, kreative Organisationen sind existenziell darauf angewiesen. 

Eine gute kreative Organisation schafft es, den Widerspruch zwischen Bürokratie und  Kreation als institutionalisierten Zielkonflikt produktiv zu nutzen

Dies gilt insbesondere für die Integration der die Bürokratie tragenden Mitarbeiter in die Organisation. Sie kulturell einzubinden, obwohl sie diametral entgegen den Profilen der Kreativen strukturiert sind, ist eine der entscheidenden Herausforderungen für das Führen von kreativen Organisationen.

Anwendung:

1.) Führen Sie eine Changeanalyse durch: Durchsuchen Sie alle Ausprägungsformen in ihrer Organisation (Strukturen, Arbeitsweisen, Prozesse, Produkte, Services) danach, wo Prozesse immer wieder neu durchgeführt werden, neue Maßstäbe eingesetzt, immer wieder andere Arbeitsweisen zum Einsatz kommen etc.

2.) Ermitteln sie, wo diese Veränderung gewollt ist, wo sie auftritt, weil es keine Regelung für die Wiederholung gibt, oder zum Tragen kommt, weil man sich nicht an entsprechende Regeln hält.

3.) Analysieren Sie den Effekt des Wechsels: wo ist die eingetretene Veränderung sinnvoll und wo nicht? Veränderungen können  sinnvoll sein, auch wenn die Organisation durch ihr Regularium eigentlich keine Veränderung will; Wiederholung kann unsinnig sein, auch wenn die Organisation eine solche will.

4.) Legen Sie die Bereiche, in denen in Zukunft eine Veränderung zugelassen werden sollen, fest.  Gleiches gilt für die Bereiche, in denen sie in Zukunft Veränderung vermeiden möchten. Ständige Veränderung in allen Bereichen schadet einer Organisation.  Ein anderes Wort für ungesteuerte Veränderung ist Krebs! Veränderung sollte deshalb nur in 10 bis 30% der Organisationsbestandteile zugelassen werden.

5.) Entwickeln sie bürokratische Regeln für die Bereiche, die sich nicht verändern sollen. Führen Sie das Formalprinzip ein (Dokumente etc.), legen Sie regelgebundene Arbeitsabläufe fest, ordnen Sie fachgebundene Befehlsgewalt zu, definieren Sie Zwangsmittel und die Voraussetzungen ihrer Anwendung.

6.) Bestimmen Sie das notwendige Personal für diesen Bereich und besetzen Sie ihn entsprechend bürokratischer Profile

(*) Siehe Max Werber,
Wirtschaft und Gesellschaft, 3. Aufl. 1947 (Faksimile bei Gallica) bzw. 5. Aufl., Tübingen 1972, 1. Teil, Kapitel III. Die Typen der Herrschaft. 2. Die legale Herrschaft mit bureaukratischem Verwaltungsstab.