Sonntag, 24. Juli 2011

Die optimale Projektgröße? – ein Viertel Ihrer Mitarbeiter – mindestens!

Eine Verlagsgruppe steht vor einer großen geschäftlichen Herausforderung durch Neue Medien.  Auf der einen Seite entwickelt sich das Geschäft im Online Bereich erfreulich.  Die Zahl der Downloads steigt exponentiell.  Gleiches gilt für die erzielten Reichweiten und Klicks.  Auf der anderen Seite brechen die Erträge ein.  Die Downloads erzeugen nur einen geringen Umsatz pro Geschäftsvorfall, meist im Bereich zwischen ein bis zwei Euro.  Bei bestehender Abwicklungsstruktur und Organisation sind diese Geschäftsvorfälle aber nur zu fünfmal größeren Kosten zu bearbeiten.  Um hier Gewinn zu machen, müssen Systemplattform und Prozesse auf komplett neue Füße gestellt werden.  Ziel ist dabei die variablen Kosten pro Geschäftsvorfall radikal zu senken - Motto: variable Kosten null

Entscheidend für die Durchführung dieses Ziels ist eine neue integrierte Systemplattform, die die automatisierte Abwicklung von Geschäftsprozessen ermöglicht.  Die gesamte Arbeitsorganisation von 400 Mitarbeitern muss umgestellt  und die Geschäftsprozesse der Verlagsgruppe an die neue Form zu arbeiten angepasst werden. Dieses setzte einen umfassenden Transformationsprozess in der Organisation voraus.

Die beauftragten Berater schätzen das für die Einführung der Systemplattform eine Kapazität von etwa 10 Verlagsmitarbeitern und fünf Beratern notwendig ist. 

Die Geschäftsführung ist sich aber von Anfang an sicher, dass mit dieser Zahl an Mitarbeitern vielleicht die systemtechnischen Aufgaben, nicht aber der Veränderungsprozesse in Arbeitsweisen und Köpfen der Mitarbeiter durchzuführen ist.

Zur Schätzung der notwendigen Kapazität geht man von einer einfachen Überlegung aus:
Bei vier Mitarbeitern eines Teams sollte einer im Projekt involviert werden.  Seine Aufgabe ist es auf der einen Seite die Erfahrungen und das Wissen seiner Arbeitskollegen mit in das Projekt einzubringen.  Auf der anderen Seite soll dieser Mitarbeiter bei der Einführung des Systems seine Kollegen unterstützen und in den neuen  Abläufen, sowie Systemfunktionen schulen. 

Umgesetzt auf 400 Mitarbeiter bedeutet dieses, dass das Projektteam aus 100 Mitarbeitern besteht. 

Natürlich werden diese Mitarbeiter nicht Vollzeit und über die gesamte Projektlaufzeit im Projekt arbeiten.  Eine breite Beteiligung findet insbesondere in der ersten Projektphase bei  der Erhebung der Anforderungen für das neue System statt. 

Die hier gemachten Anforderungen werden dann von einem kleineren Team konsolidiert und in IT-Konzepte umgesetzt. Auch beim Customizing ist nur eine kleine Zahl von Experten beteiligt.

Das Testen der Software erfolgt wieder unter breiter Beteiligung möglichst aller Projektmitglieder. Nicht nur um ein fehlerfreies System zu gewährleisten, sondern gleichzeitig auch für eine erste, breite Qualifizierung zu sorgen: Motto: Test ist die beste Schulung und der Tester der beste Trainer.

Die nachfolgende Schulung der übrigen User erfolgt ebenfalls mit dem gesamten Projektteam von 100 Mitarbeitern.  Das heißt, die Mitarbeiter werden nicht durch fremde Trainer, sondern von ihren eigenen Kollegen, die ihr Arbeitsfeld kennen, geschult. 

Die neuen Prozesse und Abläufe im Verlag können so viel schneller und sicherer in Produktion gesetzt werden. Die Mitarbeiter identifizieren sich mit dem neuen System und machen sich die neuen Arbeitsformen schnell zu Eigen. 

Diese Vorzüge gleichen aus Sicht der Geschäftsführung den höheren Aufwand durch die höhere Zahl an Beteiligten mehr als aus.

Das ist in bester Ordnung, denn:

Jedes Beratungsprojekt hat eine Mindestgröße. Diese Größe ergibt sich zum einen aus dem inhaltlichen Umfang, der für die im Projekt zu leistenden ist. Diese inhaltlich gebundene  Mindestgröße muss aber nicht die tatsächliche Größe eines Beratungsprojekts sein.
 
In bestimmten Ausgangspositionen kann es durchaus Sinn machen weitaus mehr Mitarbeiter, als inhaltlich notwendig, an einem Veränderungsprozess zu beteiligen.  Dieses gilt umso mehr, je größer psychologische Faktoren für einen Projekterfolg ist.

Kann man eine SAP-Einführung zum Beispiel inhaltlich mit 10 Mitarbeitern durchführen, kann es aus den oben genannten Punkten sinnvoll sein, dieses Projekt trotzdem mit 60 bis 70 Mitarbeitern durchzuführen. 

Grund für die große Zahl an Beteiligten ist nicht die inhaltliche Arbeit, sondern der Grundsatz Betroffene zu Beteiligten zu machen, der durch Beteiligung an der Projektarbeit eine hohe Identifikation mit dem Projekt selbst und den Projektergebnissen sicherstellt.

Sinnvoll ist dieses Vorgehen, wenn der zusätzliche Koordinationsaufwand durch die größere Zahl an Beteiligten, durch einen Mehrnutzen in Richtung Identifikation ausgeglichen wird.

Tipps für Ihre Anwendung:

1.) Analysieren sie die Zielsetzung des Projekts. Worum geht es? Liegt der Fokus auf inhaltlicher Arbeit oder geht es darum eine möglichst große Anzahl der Mitarbeiter des Unternehmens in eine neue Welt hinein zu führen? Je inhaltsgetragener die Arbeit ist, desto weniger Projektbeteiligten sollten Sie vorsehen. Je größer die Veränderung, desto mehr Beteiligte sind notwendig, bei großen Veränderungen auf 4 Mitarbeiter ein Projektmitglied.

2.) Werfen Sie nun einen Blick auf die zur Verfügung stehende Mannschaft. Wie viel Mitarbeiter können Sie kapazitativ im eigenen Unternehmen für dieses Projekt freimachen.? Völlige Freistellungen sind dabei nicht unbedingt die erste Priorität, besser sind Freistellungen um 50%, da sie verhindern, dass ein Mitarbeiter komplett in die Projektarbeit abtaucht und den Kontakt zum Tagesgeschäft und zu den Kollegen verliert.  Freistellungsgrade unter 30 % sind zu vermeiden. Hier hat die Projektarbeit nicht die notwendige Priorität.  Vergleichen Sie das Ergebnis ihrer Analyse mit dem im ersten Schritten ermittelten Bedarf.  Dieser Bedarf ist ein Datum!  Falls Sie ihn kapazitativ nicht decken können, verändern sie lieber die Zielsetzung des Projekts, als mit einer nicht bedarfsgerechten Mannschaftsstärke zu starten.

3.) Bewerten Sie die zur Verfügung stehende Mannschaft qualitativ.  Natürlich geht es um fachliche Kompetenz.  Viel mehr aber noch geht es um die Fähigkeit, über den Rand des eigenen Kellers herauszuschauen.  Darum quer zu denken.  Bereit zu sein, die eigenen Erfahrungen infrage zu stellen und neu zu sehen, neu zu denken und neu zu tun. Es gilt, Konflikte auszuhalten.  Mit sich selbst.  Vor allem aber mit Kollegen.  Und noch bedrohlicher: Auch mit den Vorgesetzten.  Projektarbeit bedeutet immer, etwas Neues zu entwickeln.  Und Neues bedeutet, wenn es wirklich relevant sein soll ,Konflikte.  Diese Kompetenz muss in Grundzügen vorhanden sein.   Auch hier gilt: Sollten sie nicht genügend Leute mit dieser Kompetenz haben, verändern sie lieber die Zielsetzung des Projekts, als es mit einer kleineren Mannschaft zu versuchen

4.) Bevor Sie aber die Flinte ins Korn werfen, schauen Sie nach den Randgruppen im Unternehmen: Die jungen, hungrigen, mit den wachen Augen, die ihnen beim Gang zum Mittagessen in der Kantine begegnen.  Die alten Erfahrenen, die nichts mehr zu verlieren, aber umso mehr zu geben haben.  Setzen Sie sich 5 Minuten hin und sie werden zwei oder drei Namen im Kopf haben - sprechen Sie sie an!

5.) Zählen Sie zusammen.  Passt die Zahl?  Prima!  Haben Sie mehr Leute als sie brauchen umso besser!.  Passt es nicht, schade.  Versuchen Sie nicht bei einer Beratung Kapazität zu zukaufen.  Es geht um eigene Kräfte.  Nur diese wirken ins Unternehmen.  Beißen Sie in den sauren Apfel.  Verändern sie die Zielsetzung.  Oder stoppen Sie das Projekt.  Rigoros!