Sonntag, 22. Januar 2012

Der optimale Turn around – am Kopf beginnen.

Ein Möbelproduzent.  Umsatz und Ergebnis sinken seit Jahren.  Parallel steigt die Vielfalt in der Produktpalette.  Immer neue Linien werden aufgelegt, erreichen aber nur kleine Umsätze und geringe Deckungsbeiträge. 
Der Produktionsleiter ist frustriert. Durch die große Zahl an Teilen und Komponenten wachsen die Lagerbestände. Der Platz in der Produktion schwindet.  Die Such- und Rüstzeiten steigen.  Gerade bei den Mitarbeitern der Produktion nimmt die Unzufriedenheit zu.  Sie erreichen ihre Akkord-Stückzahlen nicht. Gleichzeitig sehen Sie, dass der Produktionsfluss nicht sauber ist und immer wieder abreist.  Das Unternehmen ist augenscheinlich auf falschem Kurs.
Ganz anders sieht dies der Geschäftsführer.  Er freut sich an den neuen Produkten und dem immer dicker werdenden Katalog.  Auch der Vertriebsleiter meint, "jetzt habe das Produktionsprogramm Gewicht".  Auch die Kunden und die treuen Händler des Unternehmens sind begeistert.  Soviel Auswahlmöglichkeit und Flexibilität - das macht das Verkaufen leichter.
Die Konflikte zwischen Produktionsleitung sowie Geschäftsführung, Vertriebs- und Marketingleitung eskalieren. Schließlich verlässt der Produktionsleiter entnervt das Unternehmen.  Die Geschäftsführung bestimmt einen "unproblematischen" Gruppenleiter aus der Arbeitsvorbereitung zum neuen Chef in der Produktion.
Kurz danach erreicht das Unternehmen die Verlustgrenze. Der Hauptgesellschafter zieht endgültig die Reißleine und beauftragte eine Beratung mit der Analyse und Erstellung eines Rettungskonzepts.
Nach drei Monaten ist der Wurf gelungen: Das Konzept sieht straffe Einschnitte in das Produktionsprogramm vor, verbunden mit einer Intensivierung der Vertriebsarbeit durch Direktmarketing und Telefonverkauf.
Das Konzept wird vorgestellt, von den Mitarbeitern der Produktion begeistert aufgenommen, von den Führungskräften, insbesondere der Geschäftsführung der Vertriebsleiter, kritisch diskutiert, aber dann nach zähem Ringen offiziell akzeptiert.  Die Berater verlassen das Haus, die Geschäftsführung hat die Umsetzung des Konzepts übernommen.
Nach sechs Monaten führt ein Zufall den ehemaligen Projektleiter der Beratung wieder beim Unternehmen vorbei. Bei der Stippvisite  „auf einem Kaffee" spricht er mit Verantwortlichen in der Produktion und den Mitarbeitern, die ihn bei seinem Konzept unterstützt haben.
Nichts, aber auch gar nichts von dem Konzept ist umgesetzt worden.  "Gelesen, gelacht, gelocht und abgelegt" - habe der Geschäftsführer auf Nachfragen zur Umsetzung des Konzepts geantwortet. 
Auch der Vertriebsleiter sei froh, dass dieser "Wahnsinn nicht komme". Man bereite gerade die neue Produktlinie vor und dürfe hierbei nicht gestört werden.
Ein Rückruf bei den Gesellschaftern löst den Alarm aus.  Hier war man sich der Situation nicht bewusst und ging davon aus, dass das Konzept konsequent umgesetzt wird.  Die mittlerweile aufgetretenen ersten Verluste werden der Reorganisation und Umstrukturierung zugerechnet - nie hätte man gedacht, dass der beauftragte Geschäftsführer die Umsetzung dieses Konzepts verhindern würde.
Man beschließt schnell zu handeln.  Der Geschäftsführer soll ausgewechselt werden, jetzt, sofort.  Der Hauptgesellschafter wird selber die Kontrolle übernehmen und Interimsgeschäftsführer des Unternehmens werden.  Gleichzeitig wird er die Rolle des Vertriebsleiters übernehmen, der ebenfalls das Unternehmen verlassen muss.    
Die übrigen Führungspositionen bleiben bestehen.  Die neuen Produktionsleiter will man noch einmal eine Chance geben. Schnell ist ein neues Organigramm gezeichnet. Das Konzept wird noch einmal diskutiert, aber immer noch als sachlich richtig und zielführend befunden. Man bereitet deshalb Umsetzungspakete vor, die den Mitarbeitern und den Mitgliedern der neuen GL zugeordnet werden. 
All dieses geschieht fernab vom Unternehmen am grünen Tisch.  Man bestimmt einen Termin in der nächsten Woche. An dem benannten Tage treffen Hauptgesellschafter und Berater zeitgleich am Morgen im Unternehmen ein.  Vertriebsleiter und Geschäftsführung werden direkt gekündigt und haben 20 Minuten Zeit das Unternehmen zu verlassen. 
30 Minuten später beginnt die Sitzung der neuen Geschäftsleitung. Die Situation wird geschildert, Aufgabenpakete beschriebenen, Erwartungshaltungen der Gesellschafter klargemacht.  Man vertagt sich auf den nächsten Morgen.
Die Geschäftsleitungsmitglieder haben 12 Stunden Zeit über die Sache zu schlafen und ihre Mitwirkung zu erklären.  Am nächsten Morgen sind alle, bis auf den Produktionsleiter, mit dabei und verpflichten sich zur Umsetzung des Sanierungskonzepts.
Das ist in bester Ordnung, denn:
Wann herrscht eigentlich Ordnung?:
Die Frage impliziert schon einen wesentlichen Teil der Antwort: Ordnung herrscht dann, wenn die Menschen es  zulassen. 
Ordnung hat also immer etwas damit zu tun, dass Menschen sie einhalten, sie akzeptieren, sie stützen und letztendlich auch gegen Veränderungen oder äußerer Einflüsse verteidigen. 
Ordnung ist damit immer Folge eines Kontrakts, d.h. eines sozialen Vertrages zwischen Menschen. Wo das nicht gegeben ist, herrscht keine Ordnung sondern Chaos.  Ordnung muss also kontrahiert sein, um wirksam zu werden. 
Das gilt gerade auch für Ordnung im Unternehmen: Die Blaupause eines Organigramms alleine genügt nicht.  Ein Organisationshandbuch bleibt im Schrank stehen und ist tote Materie, wenn es nicht gelebt wird. Gleiches gilt für Beratungskonzepte.
Nur, was gelebt wird, vor allem von der Spitze des Unternehmens, kann (in) Ordnung sein.
Nun ist aber nicht alles, was gelebt wird, auch tatsächlich in Ordnung.  Ordnung bezeichnet eben auch einen Zustand, der Normen zu erfüllen hat und eine sinnvolle, dem Geschäft hilfreiche Form besitzt. Das Beratungskonzept muss Erlöse steigern, das neue Organigramm Kosten senken um (in) Ordnung zu sein.
Nur dadurch, dass er akzeptiert wird, ist ein Zustand noch lange nicht (in) Ordnung.  Ordnung ist etwas, das einen Zweck erfüllt.  Ordnung ist Instrument, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen
Ordnung hat damit immer zwei Bedingungen zu erfüllen: Sie muss kontrahiert sein und geschäftlich sinnvoll ausgestaltet.
Je nachdem wie sie diese beiden Bedingungen erfüllt lassen sich unterschiedliche Fälle unterscheiden:
Erstens: Die Ordnung ist kontrahiert aber nicht sinnvoll für das Geschäft ausgeprägt. Oder in Deutsch formuliert: Alle finden es gut, aber es erfüllt seinen Zweck nicht.  Die Stimmung ist gut, aber das Schiff auf falschem Kurs. Beschreibungen aus ehemaligen Staatskonzernen und Unternehmen mit Bundesbeteiligung  lassen vermuten, dass die Situation durchaus häufig vorkommt. 
Zweitens: Die Ordnung ist fachlich fundiert, geschäftlich sinnvoll, aber nicht kontrahiert. Hier stimmt zumindest die Richtung. Nichtsdestoweniger ist aber auch hier viel zu tun:  Auch wenn der Bug zum Hafen zeigt, reicht es nicht aus, wenn nur einer von 100 rudert.
Drittens: die Ordnung ist weder kontrahiert noch geschäftlich sinnvoll.  Das Boot treibt ohne Ruder im Kreis.  Vollständiger Stillstand.  Klingt unwahrscheinlich, ist es aber nicht: In viele Unternehmen, die in Schieflage geraten und deren Existenz bedroht ist, haben die Führungskräfte und oder Mitarbeiter längst erkannt, dass das Haus auf dem falschen Weg ist.  Die interne Kündigung ist durchgängig.  Der Kontakt zum Unternehmensführer und Eigentümer gebrochen.  Man ist nur noch mit nicht einmal mehr einem halben Herzen dabei.  Oder kündigt gleich.
Viertens: die Ordnung ist kontrahiert und geschäftlich sinnvoll: der Idealzustand.  Das Ziel.  Hier passt alles zusammen.  Der Bug zeigt in Richtung Hafen und es geht volle Kraft voran.
Tips für Ihre Anwendung:

1.) Legen sie ihr Ziel fest.  Nur dann wissen Sie wo das hingeht und wie die Normen aussehen.

2.) Leiten sie die Anforderungen ab, die ihre Organisation erfüllen muss.  Machen Sie sie quantifizierbar, kommunizierbar und messbar.

3.) Prüfen Sie, ob ihre Organisation die geschäftlichen Anforderungen erfüllt.  Wenn nein, wie groß und wo ist das Delta, wo muss in welche Richtung verändert werden?
4.) Zeigt sich ein großes Delta, das mit der bestehenden Organisation nicht zu überbrücken ist, fangen sie sofort an, eine neue Organisation zu entwerfen.  Fragen Sie gar nicht erst nach den Kontrakt.  Er ist unwichtig.  Auch wenn alle volle Kraft rudern - wenn der Bug in die falsche Richtung zeigt, kommen Sie nie zum Hafen

5.) Jetzt und wirklich erst jetzt fragen sie nach den Kontrakt.  In Interviews.  Durch Externe.  Durch anonyme Befragungen.  Durch 360° Methoden. Bewerten Sie die Ergebnisse.  Wo haben Sie einen Kontrakt und wo nicht? In welchem Punkt wird abgewichen und wie groß ist das Delta?
6.) Jetzt wird es wirklich ernst. Sie haben keinen Kontrakt? Ihre Organisation zeigt insgesamt in die richtige Richtung und ist von der Sache her gut aufgestellt.  Wieso gibt es dann keinen Kontrakt?  Wird bei Ihnen falsch kommuniziert?  Haben Sie die falschen Leute - vor allem bei den Führungskräften?  Haben Sie zu wenig in den Werten gearbeitet, Sinn und Zweck der Organisation nicht ausreichend vermittelt,...? Nehmen Sie das ernst.  Ihre Organisation zeigt in die richtige Richtung,  aber es wird nicht genug gerudert.  Daran ist nie der Markt schuld. Oder die Konkurrenz.  Oder die Welt an sich.  Hier gibt es nur einen Schuldigen: Sie selbst.  Denn es ist ihre Aufgabe nicht nur die Richtung vorzugeben, sondern auch die Trommel zu schlagen und dafür zu sorgen, das alle Mann am Riemen ziehen. Fangen Sie deshalb in der Analyse und bei der Problembeseitigung da an, wo der Fisch am ehesten her stinkt: vom Kopf.