Donnerstag, 28. Februar 2013

Anbieterauswahl - Dienstleister oder Produktimplementierer - im Unterschied liegt der Erfolg


"Damit kommen wir zu dem Know-how ihrer Projektmitarbeiter“, eröffnet Müller die vierte Stunde des Anforderungsworkshops.“ Nichts für ungut, Herr Müller“, meldet sich der Geschäftsführer zu Wort.“ Ich bin davon ausgegangen, dass wir hier ein Standardprodukt einführen, jetzt sind wir schon seit 3 Stunden dabei, uns von Detail zu Detail zu hangeln. Nehmen Sie doch einfach das Projekt vom letzten Mal, bei Ihrem letzten Kunden, Sie haben ja gute Referenzen, kopieren Sie das Angebot und schicken Sie es uns, dann können wir hier schnell entscheiden".

"Das ist wie eine Operation am offenen Herzen", sagt Müller, "da ist jeder anders, je nachdem, welche Vorgeschichte er hat, wie sein Gewicht aussieht, wie seine übrige, körperliche Konstitution beschaffen ist. Auch bei uns gibt es kein Vorgehen von der Stange. 

Bei dem Kunden, den Sie ansprechen, haben wir eine Eigenentwicklung abgelöst. Die Anwender waren auf Ihre spezifischen Bedürfnisse, maßgeschneiderte Prozesse gewöhnt. Hier eine Standardsoftware einzuführen war eine völlig andere Aufgabe als bei Ihnen, der Sie schon lange mit Standardsoftware arbeiten.

Aus beiden Faktoren ergab sich ein anderes Projekt und ein unterschiedliches  Vorgehen. Bei gleicher Leistung, der Einführung eines Standardsystems, doch ein individuelles Vorgehen und sehr unterschiedliche Leistungen von uns, als Ihr Dienstleister" meint Müller und "übrigens, dann auch ein anderer Preis". "Wenn wir Sie genauso behandeln, machen wir das Falsche" schließt Müller, "obwohl wir Standard implementieren, müssen wir hier maß schneidern, damit es Ihnen wirklich passt.“

Das ist in bester Ordnung, denn:

Dienstleistung und Produkt unterscheiden sich vor allem in einem Aspekt: Der Kunde ist bei der Dienstleistung integrativer Teil der vom Dienstleister angebotenen Leistung. Je nach Ausgangssituation, Fähigkeiten und Ressourcen des Kunden erstellt ein Dienstleister ein immer wieder neues, individuell auf den jeweiligen Kunden zugeschnittenes Projekt- und Leistungspaket:





Dieses gilt auch und gerade für die Einführung von so genannten Standardprodukten. Wie SAP. Denn nur durch eine genaue Anpassung des Vorgehens an die Kundensituation wird aus der Zwangsjacke ein Maßanzug. 

Dienstleistungsangebot bedeutet immer, den Kunden zum integralen Teil der Leistung zu machen, die Leistung individuell auf seine Anforderungen auszurichten, im Vorgehen wie im Leistungsumfang.



Dieses gilt nicht nur für das Angebot, sondern vor allem auch für die Durchführung eines solchen Projekts. Nur wenn es gelingt, die Kunden integrativ und reibungslos in die Erbringung der Leistung zu integrieren, ist ein erfolgreiches Projektvorgehen möglich.

Tipps für Ihre Anwendung:

1.)  Sie wollen ein Standardprodukt? Okay, glauben Sie aber ja nicht, dass es hier auch ein Standardvorgehen gibt. Hüten Sie sich vor Standardangeboten aus der Retorte, die ohne viel Nachfragen in Richtung ihrer Ausgangssituation und Analyse Ihrer Anforderungen, als Schnellschuss, aus der Vertriebsabteilung des Anbieters kommen. Diese werden meistens zur Zwangsjacke und nicht zum Maßanzug.

2.) Seien Sie vorsichtig, was Referenzen und Erfahrungen anderer Häuser angelegt. Natürlich sagt dieses einiges über das Produkt aus, aber nicht viel über das Projekt, mit dem es eingeführt worden ist. Das ist nur in den wenigsten Fällen multiplizierbar. Zu unterschiedlich die Ausgangssituation, zu unterschiedlich das Know-how der Mitarbeiter und Belegschaft, zu individuell auch die Zielsetzungen, die mit dem Einsatz einer Standardlösung verbunden sind. Da wird im Allgemeinen wenig übertragbar sein, hier müssen Sie Ihre eigene Lösung finden, wenn Sie erfolgreich sein wollen.

3.) Achten Sie bei der Auswahl Ihres Dienstleisters darauf, wie dieser Ihre Mannschaft und Ihre Mitarbeiter mit einbezieht: Hat er ein offenes, integratives Projektmanagementkonzept, hat er für sein Angebot Ihre Ausgangssituation sauber analysiert, nicht nur was Prozesse und Strukturen, sondern vor allem, was das Know-how ihrer Mitarbeiter anbelangt? Ist das Angebot von ihm wirklich maßgeschneidert oder tatsächlich nur ein Copy-Paste eines völlig anders aufgestellten Referenz-Unternehmens?

4.) Hinterfragen Sie die Angebotskalkulation. Welcher Teil der Aufwände ist dem einzuführenden Produkt geschuldet, welcher Teil Ihrer speziellen Ausgangssituation? Findet ein Anbieter hierauf keine Antwort, vergessen Sie's. Gehen Sie davon aus dass etwa 30 % der Projektsumme, jeweils in unterschiedlichen Schwerpunkten, der individuellen Situation des jeweiligen Kunden geschuldet sind. Bekommen Sie heraus, welche Teile es bei Ihrem Anbieter sind und wie er hier kalkuliert hat. Hinterfragen Sie und bringen Sie sich in die Kalkulation ein. Wird hier an der falschen Stelle gespart oder nicht auf Probleme hingewiesen, wird es am Ende teuer. Stuttgart 21 und der Berliner Großflughafen zeigen dieses.

5.) Hüten Sie sich deshalb vor Sparkalkulationen und Billigangeboten, diese sind am Ende meistens der teurere Weg.

6.) Achten Sie dabei vor allem auf die Zusammensetzung der individuellen Aufwandskomponenten. Während die allgemeine Höhe fast durchgängig gleich ist, sind die Schwerpunkte von Kunde zu Kunde unterschiedlich: Soll eine Eigenentwicklung abgelöst werden, steht meist ein höherer Aufwand an Veränderungsmanagement, einem niedrigeren Projektaufwand entgegen, der durch die bessere Qualifikation der Entwicklungstruppe und die umfassenderen Kenntnisse, die durch die Eigenentwicklung gewonnen wurden, verursacht wird. Demgegenüber hat ein an Standards gewohnter Kunde auf der einen Seite einen geringeren Veränderungsaufwand - die Mitarbeiter wissen schon, dass ein Programm nicht auf jedes Bedürfnis eingeht - auf der anderen Seite meistens aber nicht so kompetente IT Mitarbeiter, die umfassend unterstützen können. In Summe bleiben diese Aufwände für den Dienstleister meist in gleicher Höhe, aber die Schwerpunkte sind anders gesetzt. Achten Sie hierauf und hinterfragen Sie die Kalkulation des Anbieters.

7.) Achten Sie bei Referenzen auf den Unterschied, nicht auf die Gemeinsamkeit. Hinterfragen Sie beim Anbieter, was er bei Ihnen anders macht, als bei dieser Referenz, wo er den Unterschied sieht, in ihrer Ausgangssituation, zum vorhergehenden Projekt und wie der Anbieter damit umgeht. Das ist meist entscheidender, als die Multiplikation der Erfahrung die dort gewonnen wurde.

8.) Prognosen sind schwierig, insbesondere, wenn sie die Zukunft betreffen. Dieses gilt auch für Projektkalkulationen und Projektverträge. Immer gibt es im Verlauf eines längerfristigen Projektes neue Situationen, muss Unbekanntes neu berücksichtigt werden. Achten Sie deshalb, inwieweit der Anbieter der Lage ist, neu zu planen, wie flexibel er auch auf unerwartete Situationen reagieren kann und sich neu aufstellt. Das muss keinesfalls immer eine Erhöhung des Projektbudgets bedeuten, denn meistens hat eine neue Situation sowohl positive wie auch negative Konsequenzen in Richtung des Budgets -  was auf der einen Seite Mehraufwand bedeutet kann, wird auf der anderen Seite durchaus an andere Stelle eingespart. Wie schnell bekommt ein Anbieter einen solchen Aktivtausch hin - machen Sie das zum Kriterium Ihrer Auswahl.

9.)  Viel Spaß im Projekt!