Sonntag, 28. August 2011

Die optimale Führung – „barbarisch“, anweisend, regelgebend, wertesetzend

Bei einem Möbel-Produzenten ist der allein verantwortliche Geschäftsführer kurzfristig abberufen worden. Er hat das Unternehmen innerhalb von 20 Minuten zu verlassen.  Bis ein Nachfolger gefunden ist, muss die verbleibende zweite Führungsebene die Aufgaben des Geschäftsführers übernehmen.

Aufgrund der schwierigen Situation ist davon auszugehen, dass die Besetzung eines Nachfolgers mehrere Monate in Anspruch nehmen wird. Formal wird die Aufgabe in dieser Zeit vom Gesellschafter übernommen, das operative Tagesgeschäft muss aber von dem neu zu schaffenden Führungsgremium der zweiten Ebene geleitet werden. 

Direkt nachdem der alte Geschäftsführer das Unternehmen verlassen hat, wird ein Treffen ausgewählter Mitarbeiter der zweiten Führungsebene einberufen.  Ihnen wird die Situation erklärt.  Der verantwortliche Gesellschafter schildert die Gründe für die Abberufung des Geschäftsführers offen. Er legt die schwierige wirtschaftliche Situation des Unternehmens völlig transparent dar und beschreibt die Ziele der Gesellschafter. Es ist ihm wichtig, den Führungskräften ohne jeden Filter den Ernst der Situation darzulegen. Auf der anderen Seite will er aber auch die Verpflichtung der Gesellschafter für einen Fortbestand des Unternehmens signalisieren. Offenheit, Verpflichtung  zum Unternehmen und Loyalität sind für ihn entscheidende Werte, gegen die der alte Geschäftsführer verstoßen hat. Auf diese Werte will er jetzt die neuen Führungskräfte verpflichten (Führung durch Werte).

Nachdem alle Führungskräfte eine Verpflichtung auf diese Werte unterzeichnet haben, stellt der Gesellschafter eine Geschäftsordnung für das neu zu installieren de Führungsteam vor.  Sie beschreibt, welche Aufgaben das Team gemeinsam wahrnimmt, wie der Entscheidungsprozess innerhalb dieses neuen Führungsteams beschaffen ist, welche Entscheidungen im Team und welche von einzelnen Personen zu treffen sind, wie die Entscheidungen vorzubereiten und wie nachzuhalten sind.  Die Regeln werden diskutiert, zum Teil ergänzt, angepasst und ebenfalls als verpflichtend für die weitere Arbeit von den Führungskräften unterschrieben (Führung durch Regeln).

Im nächsten Schritt geht es daran, persönliche Verantwortungsbereiche im Tagesgeschäft festzulegen. Die gesamten Aufgaben des alten Geschäftsführers werden gesichtet und je nach persönlicher Qualifikation, Erfahrungsschatz und Motivation auf die anwesenden Führungsmitglieder übertragen.  Für jede dieser Aufgaben wird ein Ziel verabredet,nach dem zu führen ist. Die Bandbreite der möglichen Anweisungen und Entscheidungen , die im daily business von der jeweiligen Person individuell getroffen werden können, wird abgestimmt, zudem legt man fest, wo sie eine Anweisung des Gesellschafters einzuholen hat. (Führen nach Anweisung ).

Da der ehemalige Geschäftsführer in Personalunion auch für das Marketing und die Produktentwicklung verantwortlich war, ist die Funktion vakant.  Beide Funktionen sind hochkritisch für den Erfolg am Markt und Grundvoraussetzung für den angestrebten Turn around. Der Gesellschafter beschließt, diese Funktion selbst zu übernehmen (Führung durch selber tun).

Das ist in bester Odnung, denn:

Man unterscheidet vier Arten von Führung:
  • Führung erster Ordnung = Führen durch selber tun
  • Führung zweiter Ordnung = Führen durch Anweisung
  • Führung dritter Ordnung = Führen durch Regeln
  • Führung vierter Ordnung = Führen duch Werte
Im Beispiel:  Wenn es die Führungsaufgabe ist, für einen ordentlich gedeckten Tisch bei der Gästebewirtung zu sorgen, bedeutet Führung erster Ordnung, das Glas selber auf die rechte Seite zu stellen.  Führung zweiter Ordnung ist es, die Anweisungen zu geben: "Bitte stellen Sie das Glas auf die rechte Seite". Das Aufstellen der Regel: "Wenn wir den Tisch decken, stellen wir das Glas grundsätzlich rechts" bezeichnet man als Führung dritter Ordnung. Führung vierter Ordnung ist es, einen Wert zu vermitteln: „Wir wollen gastfreundlich sein und mitteleuropäische Esskultur einhalten, entsprechend decken wir den Tisch…“

Die oben stehenden Dimensionen für die Ausgestaltung von Führung sind entscheidende Vorgaben für den Aufbau der Führungsorganisation. 

Je schneller eine Organisation regieren muss, desto eher muss sie über Regeln und Werte geführt werden.  Dieses gilt auch für den Fall, das ein direkter persönlicher Eingriff oder die Führung durch Anweisung nicht möglich ist, weil die Führungskraft situativ nicht anwesend sein kann.

Das ist bei allen flachen Organisationen der Fall. Gerade in einer Struktur mit wenigen Hierarchiestufen und großer Selbstständigkeit der geführten Mitarbeiter ist der Aufbau von Regeln und das Führen durch Werte von entscheidender Bedeutung.  Letzteres zeigt nicht zuletzt das große Gewicht von Controlling, insbesondere bei amerikanischen Unternehmen. Die in Controllingsystemen hinterlegten Regeln sind entscheidend für die Führung dieser Unternehmen und bestimmen ihr Handeln fast zu 100%.

Als besonders effizient erweist sich auch die Führung im Spagat: Das heißt über mindestens zwei, am besten möglichst weit voneinander entfernten Ebenen zu führen. Konzentriert man sich z. B. auf das Führen durch Werte, kann das Führen durch selber tun eine ideale Ergänzung sein.  Berühmtes Beispiel hierfür die Büroklammer von Bosch: "Was ist das?“, fragte der Unternehmensgründer seine Führungskräfte und zeigte auf eine am Boden liegende Büroklammer?, „Mein Geld! „ sagte er und hob sie auf.

Den Römern war das Führen erster Ordnung jedoch ein Graus: Sie bezeichneten es schlichtweg als barbarisch, wenn ein General oder Führer einer Armee selbst in den Kampf eingriff, oder gar an vorderster Linie mitkämpfte.  Ein General und Feldherr hatte aus Ihrer Sicht im Abstand zum Geschehen, auf den Feldherrn Hügel zu verbleiben und aus der Entfernung per Anweisung (Kontrolle zweiter Ordnung) zu führen.

Auf der anderen Seite wird gerade in Akademikerorganisationen und kreativen Unternehmen, wie in Redaktionen oder Werbeagenturen, massiv durch persönliche Eingriffe und Anweisung geführt.  (Führung erster und zweiter Ordnung). 

Dieses liegt insbesondere daran, dass es bei den hier getroffenen Entscheidungen vielfach kein gut oder richtig gibt, sondern nur ein „das machen wir so“.  Ob eine Anzeige gut, eine Werbekampagne passend und treffend war, stellt sich immer erst im Nachgang heraus. Im Vornherein ist keine Kampagne falsch und kein Vorschlag nicht begründbar. 

Die Diskussionen über Alternativen können endlos dauern und es braucht dann die mutige Entscheidung von alleroberster Stelle, um eine Auswahl zu treffen. Gerade in diesen Fällen werden die Chefs in Kreativorganisationen zu „Barbaren“ und greifen selbst zur Feder.

Klassische Beispiele hierfür sind die Entscheidung für die Bild Titelschlagzeile oder den Katalogtitel und das Katalogtitelbild, die in der Regel immer von Chefredakteur , vom Verleger oder eben von Michael Otto selbst getroffen werden.

Anwendung

1.) Klären Sie die Rahmenbedingungen. 

1.1.) Ihren Freiheitsgrad:  Können Sie überhaupt frei über ihren Führungsstil entscheiden oder gibt es Vorgaben durch die Organisation, innerhalb derer sie tätig sind?  Es macht keinen Sinn, ein Führungssystem aufzubauen, das 180 % der Kultur des Unternehmens und den Beispielen entgegensteht, die ihre Kollegen bei ihren Mitarbeitern setzen.

1.2.) Den Umfang des aufzubauenden Entscheidungssystems: Wieviele Entscheidungen müssen an welcher Stelle und zu welchen Zeitpunkten getroffen werden? Je weiter die Stellen auseinanderfallen, je mehr Entscheidungen zur gleichen Zeit getroffen werden müssen, desto eher müssen diese auf mehrere Entscheider verteilt werden. Konsequenz ist der Aufbau eines mehrstufigen Führungssystems.

2.) Innerhalb dieser Vorgaben können Sie jetzt Ihr eigenes Führungssystem aufbauen.  Beantworten Sie sich hier zu folgende Fragen:

2.1.) Wie kurzfristig müssen meine Entscheidungen sein? Geht es um schnelle Reaktionen in einem Börsengeschäft, um die schnelle Entscheidung am Fließband, das unter keinen Umständen stoppen darf, oder habe ich einen langfristigen Reaktionszeitraum.? Je schneller der Reaktionszeitraum, desto höher sollte die Ordnung des Führungssystem sein, das Sie implementieren. 

2.2) Wie ist der Schwierigkeitsgrad der Entscheidungen? Welche können von Mitarbeitern getroffen werden? Welche muss ich selber treffen? (Entscheidung zwischen Führung durch Regeln und Werte – hier entscheiden die Mitarbeiter – versus Entscheidung durch Sie selbst – d. h. durch Anweisung)

2.3.) Welche Informationen werden gebraucht, um die Entscheidungen zu treffen? Muss sich der Entscheider mit eigenen Augen ein Bild machen oder kann er sich auf den Bericht von Dritten verlassen? Muss er selbst situativ anwesend sein (Führung erster Ordnung) oder kann er von ferne, durch Anweisung (Führung zweiter Ordnung) agieren?

2.4.) Wie vergleichbar sind die Entscheidungssituationen?  Lassen sich aus der Vielzahl der zu treffenden Entscheidungen Muster für eine richtige Entscheidung ableiten, die dann zu Regeln und Vorgaben verdichtet werden können (Führung durch Regeln)? Oder sind die zu entscheidenden Sachverhalte chaotisch und keinem Muster folgend (entweder Führung erster oder zweiter Ordnung oder!  Führung vierter Ordnung)? Je unberechenbarer die Situation, desto niedriger oder aber gleichzeitig höher, sollte die gewählte Form der Führung sein. Für den Fall kurzfristig notwendiger Entscheidungen, die außerhalb des eigenen Führungsumfelds liegen, bleibt ausschließlich die Führung über Werte!!!

3.) Erst jetzt und innerhalb der durch die Vorstufen gegebenen Vorgaben stellen Sie sich bitte die Frage nach der Qualifikation und der Art der geführten Mitarbeiter. Je qualifizierter diese sind, desto höher und! desto niedriger sollte die gewählte Ordnung der Führung sein. Im Idealfall Führung erster Ordnung und Führung vierter Ordnung.