Sonntag, 20. März 2011

Sie müssen Kosten sparen? - Folgen Sie dem Prozess statt der Strategie

Eine große  Tageszeitung.  Die Zahl der Stellenanzeigen von 40 Seiten pro Samstag auf 20 eingebrochen. Mehr als 50% weniger Anzeigenaufträge bedeuten fast 30% weniger Umsatz. Das Unternehmen muss seine Kapazitäten anpassen. Eine strategische Beratung erstellt ein entsprechendes Gesamtkonzept. Ein Businessplan wird ausgearbeitet. Zukünftige Umsätze werden prognostiziert. Kapazitäten abgeleitet. Der Leitung des Anzeigenbereichs wird die Strategie präsentiert: Abbau der Kapazität um 60%. Die Leitung erhält den Auftrag, dieses innerhalb von drei Monaten umzusetzen. 

Bloß wie?

Natürlich haben einige Mitarbeiter keine Arbeit. Es fehlen ja 50% der Aufträge. Die Hälfte der einzusparenden Kapazität ist schnell ermittelt. Die Leute haben nichts zu tun. Ein Rundgang reicht, um die Namen zu identifizieren.

Schwierig wird die zweite Hälfte. Erstaunlicherweise ist noch immer viel zu tun. Die Arbeit ist nicht wie die Aufträge um 50% gesunken. Viele Tätigkeiten sind trotz der verminderten Geschäftsaktivitäten weiterhin im vollen Umfang notwendig: Berichte müssen verfasst, Statistiken erstellt werden. Die Kommunikation mit den Kunden ist durch die verschärfte Marktlage nicht einfacher geworden. Pro Auftrag ist mehr Zeit zu investieren, um den Kunden zu gewinnen und zufrieden zu stellen. Auch dass die Mitarbeiter mehr Zeit haben wirkt sich aus. Es wird sorgfältiger und langsamer gearbeitet. Die Produktivität sinkt. Freie Kapazitäten füllen sich. Die vorhandene Arbeit wird verteilt. Ergebnis: Die Leute haben zu tun. Eine weitere Reduzierung der Mitarbeiter würde, hier ist sich die Leitung sicher, zu erheblichen Störungen des Betriebs führen. Gleichwohl ist die Kürzung der Kapazität notwendig um zu überleben.

Die Anzeigenleitung entschließt sich, einen Berater zu beauftragen. Er soll ihr helfen ein Sanierungskonzept zu entwickeln. Ziel ist es, eine zukunfttsfähige Organisation des Anzeigenbereichs zu entwerfen, mit der die vorgegebenen Kosteneinsparungen erreicht werden.

Das Projekt wird in zwei Phasen unterteilt: In der ersten Phase werden die Prozesse erhoben und die Verwendung der Kapazitäten analysiert. Dieses geschieht sowohl aus Sicht der in der Abteilung angesiedelten Kapazität wie auch aus Sicht der  im Prozess verwendeten Kapazitäten. Anzeigenverkauf, Anzeigenverwaltung, Blattplanung, Innendienstverkauf und Kundenbetreuung werden untersucht. In jeder dieser Abteilungen wird erhoben, welche Aufgaben wahrgenommen werden. Für jede dieser Aufgaben wird die zugehörige Kapazität ermittelt. Alle Aufgaben werden kategorisiert: Unterstützen sie die Prozesse oder sind sie Teil der für den Kunden erstellten Leistung? Oder sind sie gar keiner dieser beiden Kategorien zuzuordnen? Parallel dazu werden die Prozesse erhoben -  Anzeigen, Reklamation, Gutschrift: welche Schritte erfolgen, wie sind diese Schritte zu bewerten (wertschöpfend, nicht wertschöpfend), wer führt den jeweiligen Schritt durch, wie viel Zeit und Kapazität braucht er dafür.

Beide Sichten werden zusammengeführt: 15% der vorgehaltenen Kapazität ist weder leistungsunterstützend noch in die Leistungserstellung eingebunden. Sie wird direkt gestrichen. Die verbleibenden 85% werden näher untersucht. Knapp die Hälfte dieser Kapazität fließt direkt in die erstellten Leistung. Die andere Hälfte ist nur leistungsunterstützend, aber dennoch bei bestehenden Abläufen nicht verzichtbar.

Es werden zwei Teams gebildet. Das erste Team wird beauftragt, die Prozesse neu zu gestalten: Nur 30% der in den bestehenden Prozessen eingesetzten Kapazität sind wertschöpfend. Aufgabe des Teams ist ,es diesen Anteil zu verdoppeln. Ein zweites Team analysiert die leistungsunterstützenden Funktionen. Ziel ist es auch hier, 50% der Kapazität einzusparen.

Das ist in bester Ordnung, denn:

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Einer der entscheidenden Fragen zur Beurteilung der Qualität eines Unternehmens ist die Frage, wie es seine Kapazität verwendet. Unternehmen entstehen ja, weil die Koordination des Geschäfts in Bezug auf den zu schaffenden Wert innerhalb eines Unternehmens leichter ist als über den Markt. Das Unternehmen setzt also seine Mittel ein, um einen Wert zu schaffen, und zwar effizienter, als der Markt dieses könnte. Genau das ist dann aber auch der Maßstab für die Beurteilung.

Ausgangspunkt für die Bewertung ist die Frage, welchen Teil seiner Kapazität ein Unternehmen einsetzt, um das vom Kunden gewünschte Produkt zu erarbeiten (wertschöpfender Einsatz der Kapazität).  Und welchen Teil seiner Kapazität es nicht wertschöpfend einsetzt. Das heißt z.B. für Sortier-, Kontroll-, Weitergabe- oder aber Ablageschritte.
Besonders relevant ist es hierbei, zwischen geschäftsbezogenen Aufgaben und nicht geschäftsbezogenen, sogenannten leistungsunterstützenden Aufgaben, zu unterscheiden.

Letztere sind durch ein einfaches Gedankenexperiment zu ermitteln: Man stelle sich vor, das Geschäft gehe auf Null. Es werde keine Aufträge mehr bearbeitet und es kommen auch keine Aufträge mehr hinein.  Es gibt keine Kundenanrufe, auch keine Reklamationen.  Das gesamte Geschäft der Firma ist auf Null gestellt.  Welche Tätigkeiten fallen dann immer noch an?  Keine?  Falsch: Das kaufmännische Berichtswesen und das Controlling arbeiten noch.  Sie schreiben statt einer Umsatzzahl eben eine 0 in ihre Berichte. Die Berichte müssen aber nichtsdestoweniger erstellt werden. Gleiches gilt für die Bilanz. Auch das Gehalt muss ausgezahlt werden, die Instandhaltung weiter durchgeführt, das Gebäude beheizt, die Lampen gewechselt werden.  Alle diese Tätigkeiten sind nicht direkt mit dem Geschäft der Firma verbunden.  Sie gilt es zu ermitteln und die in ihnen gebundene Kapazität zu überprüfen.

Schon das Verhältnis zwischen leistungsunterstützenden und leistungserstellenden Kapazitäten gibt aufschlussreiche Informationen über den Zustand der Organisation: Investiert sie mehr ihrer Kapazität in die Unterstützung der Leistung als in des Geschäfts selber? Wieviel Prozent ihrer vorgehaltenem Kapazität fließt tatsächlich in das Geschäft, wieviel in die Unterstützung? Seien Sie nicht erstaunt, wenn das Verhältnis zwischen Geschäft und Unterstützung 1/3 zu 2/3 ist. In modernen Armeen ist das Verhältnis zwischen der kämpfenden Truppe und der unterstützenden Logistik eins zu sieben. Das heißt, auf einen kämpfenden Soldaten kommen sieben, die ihn  versorgen. Nichtsdestoweniger sollte das Verhältnis in wettbewerbsaktiven, reifen Märkten maximal 50 zu 50 sein. In neuen Märkten, die eine breitere Entwicklung fordern aber auch bezahlen, ist ein Verhältnis von eins zu drei durchaus tolerierbar.

Tips für Ihre  Anwendung:

1.) Sprechen Sie mit dem Betriebsrat. Eine solche Untersuchung erregt Aufsehen. Das kann man wollen. Muss man aber nicht. Glauben Sie nicht, dass so etwas geheim bleiben kann. Sie brauchen Daten, Einschätzungen von Führungskräften, aber vor allem auch Mitarbeitern.  Es gibt keine Geheimnisse.  Halten Sie sich daran. Gehen Sie frühzeitig in die Offensive, beziehen sie den Betriebsrat mit ein, kommunizieren sie offensiv.
 
2.) Bestimmen Sie Ihre Gesprächspartner. Suchen Sie Leute mit Übersicht. Die in der Lage sind, sich aus den Niederungen des Tagesgeschäfts zu erheben und einen ganzheitlichen Blick haben auf das, was in einer Abteilung getan wird oder auf das, was in einem Prozess geschieht.  
3.) Führen Sie die Befragung durch. Zweimal. Erst einmal nur beispielhaft.  Hierbei werden Fragen offen bleiben, zu klärende Punkte sind festzuhalten, Aufgaben zu verteilen. Sie sollten dann bis zum zweiten Gespräch erledigt werden, bei dem die endgültige Sicht der Dinge festgelegt wird.  Geben Sie dem gesamten Prozess dabei nicht zu viel Zeit.  45 Minuten für eine Abteilung reichen vollkommen. Mehr Details helfen nicht. Es geht um Übersicht, nicht um stundenlange Detaildiskussion.  
4.) Sprechen Sie immer mit mindestens zwei Mitarbeitern aus einer Abteilung. Vergleichen Sie beide Sichten. Und gehen Sie auf den Mittelwert zwischen beiden. Dann werden sie ungefähr richtig liegen. 
5.) Definieren Sie nicht mehr als bis zu 10 einzelne Hauptaufgaben. Auf diese Hauptaufgaben ist dann die Abteilungskapazität zu verteilen.  Geht man vom Ansatz der Gleichverteilung aus, entfällt auf jede Aufgabe 10% der Abteilungskapazität. Dies ist eine gute Annahme für den Start. Im Dialog mit den Verantwortlichen der Abteilung sind dann diese Zahlen an die Realität anzupassen. Die Praxis hat gezeigt, dass Schätzungen hierbei meist relativ gute Werte ergeben. Dies gilt insbesondere, wenn sie durch mehrere Personen kontrolliert werden. Eine detaillierte Erhebung, z.B. durch Zeitaufschreibung, führt zwar zu genaueren Werten, die gewonnene Genauigkeit liegt aber selten in einem größeren Bereich, als plus minus 5%, der durch Schätzung gewonnenen Werte. 
6.) Legen sie alle Sichten zu einer Gesamtschau zusammen. Errechnen Sie die Gesamtsumme der Aufgaben, quer über alle Prozesse und Abteilungen hinweg. Und vergleichen Sie sie mit Ihrer Gesamtkapazität. Kann das wirklich sein? Hinterfragen Sie. Wenn Sie glauben, dass sie richtig liegen, werden Sie
7.) eine Überraschung erleben.

Sonntag, 6. März 2011

Sie wollen verändern? – setzen Sie ein Apollo Ziel und planen Sie die Landung auf dem Mond statt den Lauf auf den nächsten Hügel

Die Mutter eines großen Fernsehsenders, der auf drei Standorte verteilt ist, beschließt die Aktivitäten des Senders auf einen Standort zu konzentrieren.

In allen drei Standorten haben sich über die Jahre hinweg Spezialisierungen entwickelt, die auch von einer jeweiligen lokalen Kultur getragen sind.  In einem Standort sind technisch orientierte Aufgabengebiete der Abwicklung angesiedelt, die beiden anderen Standorte tragen bestimmte, inhaltlich getrennte Teile des Programms.

Ein gemeinsames Verständnis der Führungskräfte quer über alle Standorte hinweg fehlt nach Einschätzung der Mutter und der neuen Geschäftsführung des Senders.

Zusammengehalten wird der Sender durch die Prozesse der Senderabwicklung.  Innerhalb der durch die drei Standorte vorgegebenen Grenzen hat sich hier ein reibungsloser Ablauf etabliert, der nach den Kriterien der Wertschöpfung kaum noch organisatorischer Optimierungspotenziale bietet.

Das Projekt der Mutter und der neuen Geschäftsführung des Senders wird von der überwiegenden Mehrheit der Führungskräfte abgelehnt, bedeutet es doch die Auflösung etablierter Standorte, den persönlichen Umzug und den Übergang in eine ungewisse noch nicht beschriebene, organisatorische Zukunft.

Auf der anderen Seite fehlt es an einem organisatorischen Konzept für die Arbeit an einem zentralen Standort zu organisieren ist.  Klar ist nur, dass der bisherige, bewährte Prozess gänzlich neu gestaltet werden muss.  Es liegen zwar grobe Berechnungen vor, in welchem Ausmaß strukturelle, redundante Kapazitäten durch die Zusammenlegung an einem Standort eingespart werden können, ein validiertes, wirtschaftlich und organisatorisch überprüftes Organisationskonzept existiert aber weder für die zukünftige Strukturorganisation noch für die neuen Abläufe.

Mit externer Unterstützung entwickelte der Sender deshalb eine spezielle Strategie für das Change Management. Es wird ein Team von Führungskräften, Meinungsträgern und Fachpromotoren gebildet das beauftragt wird, das zukünftige Konzept des Senders zu erarbeiten.  Ausgangspunkt der Teamarbeit ist dabei nicht die räumliche Reorganisation, sondern die Vorgabe definierter, herausfordernder Ziele in Bezug auf Quote und erreichte Zielgruppe: In zwei Jahren nach Projektstart sind Marktanteil und Umsatz des Senders zu Verdoppeln !!!.

Das Team ist aufgefordert die für die Erreichung dieser Ziele notwendigen Bedingungen zu definieren und in einem strukturellen, organisatorischen und technologischen Konzept umzusetzen. Darüber hinaus ist ein entsprechender Geschäftsplan zu erarbeiten, mit den dieses Konzept umgesetzt werden soll.  Die räumliche Veränderung ist hierbei nur eine der vielen Nebenbedingungen unter dem dieser Geschäftsplan zu entwickeln ist. Das bei der Entwicklung eines entsprechenden Konzepts zur Erreichung dieses Ziels ganz nebenbei auch noch ein neues Strukturkonzept und damit eine neue Strukturorganisation für den neuen Standort sowie eine neue Ablauf- und Prozessorganisation "abfällt" geschieht eher beiläufig, dem neuen Ziel untergeordnet.

Dass die Projektarbeit nach der Bestandsaufnahme schon am neuen Standort stattfindet, fällt kaum noch auf, zu wichtig ist die Diskussion über den Weg zu Marktanteilswachstum und Größe. Da sind die Büros am neuen Standort doch nur hilfreich die Projektarbeit effizient zu organisieren. Und bis zur Abschlusspräsentation hat man auch schon seinen neuen Lieblingsitaliener gefunden.

Drei Jahre später sind Marktanteil und Umsatz um 60% gestiegen, ganz hat man den Mond also noch nicht erreicht. Aber die Sache mit den alten Standorten – wo war da noch das Büro? Und warum wollte man da eigentlich nicht weg?….

Das ist in bester Ordnung, denn:


Der entscheidende Kunstgriff in diesem Projektansatz liegt darin, dass der eigentliche Auslöser des Projekts, die räumliche Veränderung, zu einer Nebenbedingung gemacht wird und einem unternehmerischen Ziel - der erheblichen Ausweitung des Geschäfts - untergeordnet wird

Umso herausfordernder dieses Ziel ist, desto leichter fällt es, die ursprünglich bedrückende und massive Veränderung durch die neuen Standorte als bloße Nebenbedingung eines viel weit gehenderen und wichtigeren Gesamtprozesses es zu verstehen und damit neu zu bewerten. 

Gleichzeitig bringt dieses herausfordernde Ziel, das im Rahmen der bestehenden Strukturen nicht zu erreichen ist (Apollo Ziel), die Führungskräfte zusammen und lässt einen neuen Geist und eine neue auf dieses Ziel und seine Erreichung ausgerichtete Kultur entstehen.

Merke: Manchmal hilft es ein Ziel zu erreichen, wenn man ein anderes setzt, das das alte zu Nebenbedingungen degradiert.  Kolumbus wollte die Erde umrunden, um Indien zu finden, dass er dabei Amerika entdeckt hat, war ein Nebeneffekt.

Getreu dem Motto. "Wenn du ein unvorstellbares Ziel erreichen willst, setzte ein noch unglaublicheres und das unvorstellbare wird zu einem to do."

Anwendung:

1.) Definieren Sie das Spielfeld. Um was geht es?  Was ist der Mond? Was wird gemessen? Wie das Ziel formuliert?

2.) Finden Sie Ihre Ausgangsposition. Wo stehen Sie? Und wo wollen Sie hin? Wie groß ist das Delta zwischen beiden Positionen?

3.) Setzen Sie ein wirklich herausforderndes Ziel. Dieses Ziel muss, so unwahrscheinlich es auch ist, allen bekannt sein und sein Erreichen genügend Aufforderungskraft haben. Jeder kannte den Mond jeder wusste, dass der, der dort landet unsterblich wird. Auf (5261) Eureka zu landen wäre wissenschaftlich vielleicht spannend – aber der Mars trotzdem das richtigere Ziel.

4.) Achten Sie aber darauf, dass Sie nicht Kennedy sind. Sie wollen nicht die UdSSR besiegen (das war übrigens der eigentliche Grund für den Flug zum Mond) sondern ???? – was war noch Ihr eigentliches Ziel das Sie mit dem Appolo Ziel erreichen wollten ???

5.) Vergessen Sie nicht, dass es hier um einen Weg geht, das eigentliche  Hauptziel zur Nebenbedingung eines größeren Ziels zu machen. Es wird zum Zweck und Instrument etwas anderes, noch größeres zu erreichen. Das löst Konflikte auf und schafft die Perspektive, in der die unüberwindliche Klippe zu einem Graben auf dem Weg wird. Nichts desto weniger ist es aber auch immer noch das alte Hauptziel, um das es geht – nicht nur der Mond – das hat die NASA vergessen

6.) Haben Sie keine Angst, wenn Sie noch nicht wissen, wie Sie es erreichen. Das Ziel muss allen bekannt sein, nicht der Weg. Den Weg zu finden ist die Aufgabe, wenn man sein Ziel kennt. Weil der, der den Hafen nicht kennt, den Kurs nicht bestimmen kann.

7.) Setzten Sie die Strategie konsequent um. Unter der Beteiligung möglichste vieler,  je mehr desto besser - Apollo hatte 250 Mio. Mitbauer - alle Amerikaner.