Donnerstag, 31. Mai 2012

Tit for Tat - oder erfolgreich verhandeln mit Spieltheorie

Es geht um einen großen Deal. Die Vorgespräche sind alle durchgeführt, man ist in der Endverhandlung. Fachlich sind alle Fragen geklärt, es verbleibt der kaufmännische Part. Die Zeit drängt etwas, der Projektbeginn soll eigentlich schon in den nächsten zwei Wochen stattfinden. Man hat sich deshalb zu einem open-end Termin verabredet, um alle offenen Fragen zu klären.

Das dem zukünftigen Vertrag zu Grunde liegende Pflichtenheft, ist bei der Ausschreibung in Form einer Excel Datei dokumentiert worden. Um eine verbindliche Vertragsgrundlage zu gewährleisten, wurde dieses Dokument von der Auftrag gebenden Seite ausgedruckt und den Vertragsdokumenten beigefügt. Beim Studium der Unterlagen bemerkt der Verhandlungsführer der Auftrag nehmenden Seite, dass beim Ausdruck nur die Oberpunkte der Excel Datei bis zur zweiten Gliederungsstufe ausgedruckt wurden, die Detailanforderungen der dritten und vierten Gliederungsstufe, aber nicht zu den Vertragsdokumenten hinzugefügt wurden. Gleich zu Anfang des Termins weist er den Verhandlungsführer der Auftrag gebenden Seite hierauf hin, mit der Bemerkung:" Bitte drucken Sie auch die Detailanforderungen aus, sonst sind diese nicht Gegenstand unseres Vertrags!" Dankbar nimmt der Führer der Auftrag gebenden Seite diesen Hinweis an.

Die Verhandlung beginnt nach diesem Austausch zuerst kooperativ, man einigt sich schnell über wesentliche Punkte. 

Es verbleiben die Punkte der Gewährleistung und Haftung. Der Anwalt der Auftrag gebenden Seite übernimmt das Wort: "Es sei ja wohl selbstverständlich, dass der Auftragnehmer die Gesamthaftung für seine Leistung und sein Projekt übernehmen. Unbegrenzt. Hier von sei man bei der Vergabe ausgegangen. Das umfasse natürlich auch die Haftung für die bei der Implementierung zum Einsatz kommende Software". Der Verhandlungsführer der auftragnehmenden Seite zuckt zusammen, hatte er doch schon in zahlreichen Vorgesprächen darauf hingewiesen, dass eine solche Forderung für sein Unternehmen völlig unannehmbar sei,  schließlich würde sein Unternehmen durch die Annahme dieser Forderung in die unbegrenzte Gesamthaftung, auch für den Hersteller der Software gehen, was schon aus aktienrechtlichen Compliancevorgaben für eine AG verboten ist.

Da dieses sein Verhandlungspartner weiß, geht Verhandlungsführer der Auftragnehmer von einer bewussten Eskalation aus, die dazu dient, ihm an einem anderen Punkt ein Entgegenkommen abzuringen.  Er beschließt vergleichbar zu antworten: " Wenn das für Sie eine unverrückbare Forderung ist, muss ich die Gespräche an dieser Stelle abbrechen. Sie wissen aus den Vorgesprächen, dass wir eine solche Forderung nicht annehmen können. Es ist mir unklar, wieso sie jetzt, mit diesem Vorwissen, eine entsprechende Forderung stellen. Sie wissen, dass wir als Aktiengesellschaft eine solche Zusage niemals machen können. Ich habe sie auch schon von Anfang an über diesen Punkt informiert. Ich kann mir nur vorstellen, dass sie dieses Thema auf die Agenda setzen, um eine gute Ausgangssituation für die Besprechung eines anderen Themas zu haben. Lassen Sie uns doch direkt auf dieses Thema zu gehen oder, wenn sie es wirklich ernst meinen, an dieser Stelle die Verhandlungen beschließen und uns die Zeit sparen."

Die Gegenseite zieht sich, leicht verärgert, zu internen Verhandlungen zurück. Nach einer Viertelstunde betreten die Mitglieder der Delegation der Gegenseite den Raum." Wir sind bereit auf die Forderung nach Gesamthaftung zu verzichten, wenn Sie uns im Thema der Gewährleistung entgegenkommen...." beginnt der Verhandlungsführer.

"Was haben Sie sich den hier vorgestellt" - entgegnet der Führer der auftragnehmenden Seite. Ich bin sicher, dass wir hier eine Lösung finden können, wenn wir im uns möglichen kaufmännischen Rahmen bleiben......

Das ist in bester Ordnung, denn:



Geschäftsbeziehungen entstehen durch die Zusammenarbeit von Partnern. Ihre Ergebnis ist durch die Qualität der Zusammenarbeit bestimmt. 

Das Ergebnis für den Partner hängt dabei entscheidend vom Verhalten des anderen Partners ab:







In diesem einfachen Modell stehen sich zwei Partner in der Verhandlung eines  Projektes gegenüber: Verhalten sich beide kooperativ, ist für beide Seiten der höchste Gewinn realisiert. Verhalten sich beide egoistisch, sinkt für beide Seiten der Gewinn erheblich. Verhält sich der eine kooperativ und der andere egoistisch, ergibt sich jeweils das höchste bzw. niedrigste Ergebnis für den egoistischen bzw. kooperativ agierenden Partner, z.B., in dem der Projektabnehmer versucht, jeden Vorteil für sich herauszuholen - was das Ergebnis des Anbieters senkt - et vice versa. In Summe eine klassische Verhandlungssituation. 

Rationales Verhalten vorausgesetzt werden, sich beide Seiten in diesem Fall nicht kooperativ, sondern egoistisch verhalten, da sie das Risiko eines unsymetrischen Verhaltens (Ich kooperiere und der andere nutzt dieses aus) nicht eingehen wollen. Beide Seiten kommen damit zu einem schlechteren Ergebnis, als bei einem kooperativen Verhalten.

Die Ausgangssituation entspricht dem Gefangenendilemma in dem zwei Täter, die gemeinsam eine Straftat begangen haben, bei einer beidseitigen Verweigerung der Aussage am besten wegkommen würden, aber trotzdem gestehen und damit eine weitaus höher Strafe in Kauf nehmen, weil das Risiko eines alleinigen Geständnisses zu hoch wäre:





Tit for Tat als erfolgreichste Verhandlungsstrategie
 
Und dennoch ist auch hier ein Gewinn für beide Seiten erzielbar: Wenn man nicht einmal mit seinem Mitgefangenen in einer solchen Situatuion ist, sondern öfter - also das Spiel "Gestehen oder nicht gestehen",  nicht nur einmal, sondern mehrmals, mit dem gleichen Partner durchlebt.

Denn bei mehrmaligem "Spielen" hat man Zeit, die Beziehung lange genug aufzubauen, dass man Erfahrung miteinander sammeln kann und das Verhalten gegenseitig, in bestimmbarer Form, aufeinander abstimmt:  Man lernt voneinander, baut durch sein Verhalten Vertrauen auf und schafft Berechenbarkeit. 

Genau diese Situation hat ein Verhandler in seiner Kommunikation und seinem Verhalten herzustellen:
1.) Nachhaltigkeit kommunizieren:
Er muss klar machen, dass er an einer Beziehung auf Dauer interessiert ist. Das es Ihm nicht um einmaliges Schlussverkaufshandeln, sondern um eine auf Dauer ausgelegte Kundenbeziehung geht. 
2.) Superspiel schaffen:

Er muss die Verhandlung in mehrere Stufen zergliedern und dadurch aus dem einmaligen Spiel, mehrere Spiele machen, in denen man lernt das Gegenüber einzuschätzen. 
Aus einer großen Verhandlung, sollte er so, im übertragenen Sinn, viele kleine machen, die nacheinander, in Stufen, durchverhandelt werden. Das gibt den Verhandlungsparteien Gelegenheit, sich von Stufe zu Stufe, immer besser kennen - und einschätzen zu lernen.
Hierbei sollte er möglichst mit einfachen Stufen/ "Spielen" beginnen und die Stufen mit höherem Schwierigkeitsgrad und größerem, beidseitigen Verlust und Gewinn, nach hinten auf die Agenda setzten 

3. ) Tit for Tat: 
Er sollte sich in den Stufen der Verhandlung so verhalten, wie es John Nash, belohnt mit dem Nobelpreis, als optimale Strategie formuliert hat:
  • Be nice  (never be the first to defect)
  • Be retaliatory (defect if the opponent did last time) 
  • Forgive! (if the opponent stops, you stop)
  • Be transparent (opponent can tell how you will behave)"

Wenn sich der Verhandlungspartner nicht partnerschaftlich verhält, sollte man das gleiche tun. Sofort, damit der andere merkt, dass man es gemerkt hat! Aber etwas weniger negativ, als seine Vorlage. Damit es nicht zu einer Eskalation kommt. 
Und dann, wenn der andere wieder partnerschaftlich verhält, sollte man sofort auch wieder partnerschaftlich handeln. Als wenn nie etwas gewesen wäre. 
Dazu muss man allerdings bemerken, wann aus der Feindschaft wieder Partnerschaft wird. Und seine Aktion entsprechend anpassen. 
Einzelne, maßgeschneiderte, auf die jeweilige Reaktion des anderen ausgerichtete Handlungen, damit macht man ein einfaches Spiel zum Superspiel und eine Verhandlung zum Gewinn für beide.


Anwendung:


Seien Sie in der Beziehung mit Ihrem Verhandlungspartner vorleistungsorientiert, offen, ehrlich und nicht nachtragend:

Seien Sie vorleistungsorientiert : Beginnen Sie die Verhandlung mit einer guten Tat. Gehe Sie in Ihrer ersten Handlung davon aus, dass das Gegenüber auf Kooperation und Ihr Bestes ausgerichtet handelt. Ein solches Verhalten, bringt das Gegenüber in positiven Zugzwang. Dies gilt umso mehr, wenn es überraschend ist: Z.B. indem man eine Schwäche des Gegners, von dem derjenige weiß, dass man sie bemerkt hat, nicht ausnutzt. Oder ihm dabei hilft einen Verhandlungsfehler wieder gerade zu rücken. Das hat mehr Bindungskraft und Verhandlungseffekt, als jede andere Verhandlungsstrategie. Es wirkt überraschend und ist ein überzeugender Ausdruck für Bindungswille und Kooperationsbereitschaft.

Seien Sie offen und ehrlich : Wenn das Gegenüber nicht auf Ihre Vorleistung reagiert oder zu Ihrem Schlechten handelt, zeigen Sie, dass Sie es gemerkt haben und reagiere Sie ebenfalls. Wichtig ist es hierbei, unter dem Eskalationsniveau des Gegenübers zu bleiben: "Eine Verschlechterung meiner Situation beantworte ich mit einem vergleichbar wirkenden Zug für den Gegenüber - der sich daraus für ihn ergebende Effekt ist allerdings kleiner (weniger negativ) als der Effekt für mich". Dieses begrenzt die Eskalation und zeigt auf der anderen Seite aber auch, dass man die Eskalation der anderen Seite wahrgenommen hat und die Fähigkeit besitzt, entsprechend zu reagieren. Dieses ist in Vertragsverhandlungen enorm wichtig, da nur dann ein Ergebnis auf gleicher Augenhöhe zu Stande kommt. Besitzt man nicht die Alternativen zu reagieren, ist man nicht mehr in einer Verhandlungs-, sondern in einer Zwangssituation. Wer keine Alternativen hat, kann nicht handeln (auch nicht verhandeln), sondern ist gezwungen.

Sei Sie nicht nachtragend : Verhandlungen haben ein Ziel, dass man gemeinsam erreichen will. Sonst ist es keine Verhandlung sondern ein Krieg.
 Man prüfe sich also vor einer Verhandlung, ob man tatsächlich in einer Verhandlungssituation oder aber in einer Kriegssituation sein will oder ist. Ergibt diese Prüfung das man verhandelt, zielt diese Verhandlung auf ein Ergebnis ab, das man nicht alleine erreichen kann. Man braucht das Gegenüber. Nachtragend zu agieren verhindert, dass man sich einigt. Es geht nicht darum nachzutragen, sondern darum, sich zu einigen. Nicht Recht haben, sondern Recht schaffen (Vertragsrecht) ist das Ziel. Wer nachträgt führt keine Verhandlung mehr, sondern einen Nachtrag. Das beste Signal hierfür ist es, nach einer Konfliktsituation wieder in Vorleistung zu gehen. Und zwar als erster. Immer vorausgesetzt, dass es tatsächlich um eine Verhandlung und nicht um das Führen eines Konfliktes geht 


Apendix


Weitere, allerdings nicht so erfolgversprechende Verhandlungsstrategien  - zitiert nach Wikipedia, Artikel Gefangenendilemma Stand 31.5.2012:

  • "mistrust (Misstrauen): Verrät in der ersten Runde und kopiert in den nächsten Runden (wie tit-for-tat) den vorherigen Spielzug des Spielpartners. Ist nicht von sich aus kooperationswillig.
  • spite (Groll): Kooperiert solange, bis der Mitspieler zum ersten Mal verrät. Verrät danach immer. Kooperiert bis zum ersten Vertrauensmissbrauch. Sehr nachtragend.
  • punisher (Bestrafer): Kooperiert bis zur ersten Abweichung. Dann ist er so lange feindlich, bis der Gewinn des Mitspielers aus seinem Abweichen aufgebraucht wurde. Dann kooperiert er wieder bis zum nächsten Abweichen von der kooperativen Lösung. Diese Strategie ist optimal bei kooperationswilligen Spielern, die Fehler begehen, also irrtümlich einen konfrontativen Zug machen. Bei wenigen Wiederholungen oder zu großen Unterschieden in der Ergebnismatrix kann es jedoch vorkommen, dass ein Verlust durch einen Fehler des Gegners nicht mehr ausgeglichen werden kann. Diese Spiele heißen unheilbar.
  • pavlov: Kooperiert in der ersten Runde und verrät, falls der vorherige Zug des Mitspielers anders als der eigene war. Kooperiert, wenn in der Vorrunde beide Spieler kooperierten oder beide verrieten. Dies führt zu einem Wechsel des Verhaltens, wenn der Gewinn der Vorrunde klein war, aber zum Beibehalten des Verhaltens, wenn der Gewinn groß war.
  • gradual (allmählich): Kooperiert solange, bis der Mitspieler zum ersten Mal verrät. Verrät darauf einmal und kooperiert zweimal. Verrät der Mitspieler nach dieser Sequenz nochmals, verrät die graduale Strategie zweimal und kooperiert zweimal. Verrät der Mitspieler danach nochmals, verrät sie dreimal und kooperiert zweimal. Diese Strategie kooperiert grundsätzlich, bestraft aber jeden Ausbeutungsversuch zunehmend unversöhnlicher.
  • prober (Sondierer): spielt die ersten drei Züge kooperieren, verraten, verraten und verrät fortan, wenn der Gegner im zweiten und dritten Zug kooperiert hat, spielt sonst tit-for-tat. Testet, ob sich der Mitspieler ohne Vergeltung ausnehmen lässt. Nimmt nicht-vergeltende Mitspieler aus. Passt sich bei Vergeltung aber an.
  • always defect (verrate immer): Verrät immer, egal was der Spielpartner tut.
  • always cooperate (kooperiere immer): Kooperiert immer, egal was der Spielpartner tut
  • random (Zufall): Verrät oder kooperiert aufgrund eines 50:50-Zufallsentscheids.
  • per kind (periodisch und freundlich): Spielt periodisch die Folge kooperieren/kooperieren/verraten. Diese Strategie versucht, den Mitspieler durch zweimaliges Kooperieren in Sicherheit zu wiegen, um ihn dann einmal auszunehmen.
  • per nasty (periodisch und unfreundlich): Spielt periodisch die Folge verraten/verraten/kooperieren.
  • go by majority (Entscheide gemäß Mehrheit): Kooperiert in der ersten Runde und spielt dann den meistbenutzten Zug des Mitspielers. Bei Unentschieden wird kooperiert.
  • tit-for-two-tat (gutmütigeres tit-for-tat): Kooperiert in der ersten Runde. Hat der Mitspieler zuletzt kooperiert, wird auch kooperiert. Hat aber der Mitspieler zuletzt verraten, wird mit gleicher Wahrscheinlichkeit kooperiert oder verraten. Diese tit-for-tat-Variation kann sehr erfolgreich Kolonien bilden, auch wenn durch „Missverständnisse“ (Sabotage oder schlechte Kommunikation) die Geschäftsbeziehung hin und wieder gestört wird. Normale tit-for-tat-Agenten können durch eine Störung in einen Zyklus geraten, in dem immer abwechselnd einer kooperiert und der andere verrät. Dieser Zyklus wird nur durch eine weitere Störung durchbrochen."