Sonntag, 9. Januar 2011

Sie wollen Flexibilität? - Folgen Sie den Amöben und organisieren Sie mobil

Eine norddeutsche Tageszeitungsverlagsgruppe.  Das Geschäft der Zeitung wird von zwei Treibern getragen: Dem Anzeigen- und dem Vertriebsgeschäft. Beide Geschäfte sind mit extrem hohen Spitzen verbunden. Im Vertriebsgeschäft entstehen durch die Zustellungsreklamation insbesondere am frühen Morgen eine hohe Zahl an Geschäftsvorfällen.  Im Anzeigengeschäft ist es eher der Nachmittag, an dem die meisten Geschäftsvorfälle eintreffen.  Diesen tagesbezogenen Zyklen stehen wochenbezogene gegenüber: So haben die Vertriebsvorfälle oft ein hohes Aufkommen am Wochenanfang, in der Werbeaktionen vom Wochenende aufzuarbeiten sind, der Anzeigenbereich aber eher Mitte/Ende der Woche, wenn die Anzeigen für die Wochendausgaben zu bearbeiten sind.

In der bestehenden Organisation werden beide Geschäftsbereiche von getrennten Organisationen betreut. Zum Ausgleich der Spitzen müssen deshalb oft externe Kräfte eingesetzt werden, die aber gerade in den kritischen Vorfällen "Reklamation" und "Bearbeitung von Neukunden" immer schlechtere Bearbeitungsergebnisse erzielen, als die fest angestellten Verlagsmitarbeiter.  

Genau diese schwierigen Geschäftsvorfälle machen aber den Hochpunkt des jeweiligen Zyklus aus. ( Zustellreklamationen, Eingabe von Neukunden oder Probekunden vom Wochenende). Und genau diese schwierigen Vorfälle werden dann von Teilzeitkräften und externen Kräften mit oft schlechtem Ergebnis bearbeitet.

Die Geschäftsführung möchte dieses ändern

Ziel ist es, eine neue, flexible und vor allem mobile Form der Organisation einzuführen. In dieser Organisation soll die normale Arbeit in den getrennten Abteilungen Anzeigen und Vertrieb erfolgen, durch auf die jeweiligen Geschäftsfelder spezialisierte Mitarbeiter. So kann auf die besonderen Anforderungen jedes Geschäfts optimal eingegangen werden.

In den Hochpunkten aber soll von dieser Organisation abgegangen werden:

Alle Mitarbeiter, unabhängig von der Zuordnung zu den jeweiligen Geschäftsbereichen, sollen in Spitzenzeiten die Geschäftsvorfälle des Bereichs bearbeiten, der die Spitze ausgelöst hat. So werden Vertriebsreklamationen am Morgen auch von Anzeigenmitarbeitern bearbeitet.  Umgekehrtes gilt für die Anlage von Anzeigenaufträgen für das Wochenende:  Hier unterstützen die Mitarbeiter aus dem Vertrieb ihre Kollegen im Anzeigenbereich. 

Diese Organisation wird möglich, weil alle Mitarbeiter eine Zusatzausbildung haben, die es ihnen erlaubt, die in den Spitzen vorkommenden Geschäftsvorfälle, auch des anderen Bereichs, zu bearbeiten.

Durch wechselseitige Unterstützung kann auf externe Kräfte verzichtet werden.  Alle Arbeiten werden tatsächlich nur von Mitarbeitern des Verlags bearbeitet, auch wenn sie nicht immer aus dem jeweiligen Bereich stammen,  in dem diese Vorfälle entstehen.

Durch diese Organisation verbindet diese Tageszeitung die Vorteile einer spezialisierten Form der Arbeitsorganisation mit denen einer ganzheitlichen Form, ohne die Nachteile in Kauf nehmen zu müssen (komplette Ausbildung der Mitarbeiter in allen Geschäftsvorfällen beider Verlagsbereiche).

Durch ihre Mobilität kann die Organisation flexibel auf die Spitzen des Geschäfts reagieren, ohne die Nachteile externer Kräfte in Kauf nehmen zu müssen. 

Wesentliche Voraussetzung einer solcher Arbeitsform sind moderne IT Systeme, die es erlauben, beide Geschäftsbereiche über eine einzige Plattform mit einer einheitlichen Benutzeroberfläche abzubilden.


Das ist in bester Ordnung, denn:

Mobil organisieren heißt, dass die Organisation im Zeitablauf veränderlich ist.

Gerade diese Dimension wird in der Veränderung von Organisationen am meisten unterschätzt und findet die geringste Bedeutung. Dieses ist um so bedauerlicher, da durch diese Dimension eine große Flexibilität in die Gestaltung neuer Organisationen kommt, denn sie erlaubt die Vorteile von zwei gegensätzlichen Alternativen miteinander zu verbinden:

Kommt es zum Beispiel darauf, an mit hoher Wirtschaftlichkeit eine Vielzahl an Geschäftsvorfällen zu bearbeiten, ist eine spezialisierte Form der Arbeitsorganisation von Vorteil.  Kommt es darauf an, die Durchlaufzeit und die Flexibilität zu erhöhen, ist eine ganzheitliche Arbeitsorganisation die bessere Wahl. Wie soll sich ein Unternehmen hier entscheidenden? Die Frage ist um so wichtiger, da eine Vielzahl von Unternehmen vor beide Aufgaben gestellt wird, denn Geschäftsvorfälle sind meistens nicht gleichförmig in ihrer Aufkommenshäufigkeit, sondern saisonal oder anderweitig schwankend.

Gerade hier bietet die Möglichkeit, flexibel, mobil zu organisieren, das heißt eine Arbeitsorganisation zwischen beiden Varianten hin und her springen zu lassen, eine ideale Wahl: Sind zum Beispiel am Morgen bei einer Tageszeitung besonders viele Zustellerreklamationen zu bearbeiten, erfolgen die ersten Arbeitsstunden des Tages bereichsübergreifend, während der Rest des Tages bereichsbezogen gearbeitet wird.

So entsteht eine Amöbenorganisation, die, wie die namensgebenden Tiere, in ihrer Form stets dem Futter, das heißt dem aktuellen Geschäft folgt.

So einfach dieses in der Theorie klingt, um so schwieriger ist die tatsächliche Umsetzung.  Der Sprung von der einen in die andere Organisation muss geübt werden und stellt hohe Anforderungen an die Umstellungsfähigkeit der Mitarbeiter.

Dennoch gibt es ein Beispiel das jedes Unternehmen kennt: die Streikorganisation! Gerade in Zeiten des Streiks wird die normale Arbeitsorganisation aufgegeben und durch eine andere Organisation ersetzt (die meistens in hohem Maß effizient ist und in nahezu jedem Fall wirtschaftlicher als die normale Organisation). Angestellte übernehmen den Platz von streikenden Arbeitern, Führungskräfte den von Mitarbeiter. Will man eine Organisation in eine mobile Form der Struktur überführen, suche man nach diesen Streikerfahrungen, um den Mitarbeitern begreiflich zu machen, dass ein Sprung in eine andere Organisationsform und zurück tatsächlich möglich ist. Im Idealfall hat man mit der Streitorganisation sogar schon eine Alternative gefunden.


 Tipps für Ihre Anwendung

1.) Prüfen Sie zunächst in welchem Ausmaß sich die Determinanten ihrer Organisation im Zeitablauf verändern. Gibt es Saisonschwankungen oder andere zeitliche Spitzen im Geschäft? Diese müssen sich dabei nicht nur aufs Mengengerüsts beziehen. Auch der Inhalt der zu bearbeitenden Geschäftsvorfälle kann sich bei gleicher Gesamtzahl im Zeitablauf verändern. Morgens zum Beispiel kann es um andere Geschäftsvorfälle gehen als abends, am Monatsanfang um andere als am Monatsende, nachdem die Rechnungen versandt wurden. 

Finden Sie keine dieser Veränderungen, sollten Sie das gesamte Projekt flexibler Organisation stoppen!!! Es ist aufwändig und nicht ganz ohne Risiko, deshalb sollten Sie es nicht ohne Grund angehen. Ein solcher Grund kann übrigens auch ein Notfall sein, auf den man sich vorbereitet. Ein Streik, ein Unfall oder ähnliches.

2.) Sie haben einen Grund gefunden. Prima. Prüfen Sie jetzt in welchem Umfang die Veränderung auf die Organisation durchschlägt. Ist nur das Call Center betroffen oder schlägt sich die Morgenspitze bis in die Produktion durch? ... 

3.) Prüfen sie die Aufgaben, die von der Spitze in diesen Bereichen betroffen sind. Klären Sie drei Fragen: Haben wir genug technische Mittel und die notwendige Infrastruktur, um diese Spitze zu bewältigen? Welcher kapazitativen Bedarf ergibt sich? Welche qualifikatorischen Anforderungen sind zu bewältigen? (Denken Sie hierbei daran, dass die gleiche Aufgabe in einer Spitzenlast andere qualifikatorische Anforderungen stellen kann als im Normalfall.)

4.) Ermitteln sie, welche Mitarbeiter diesen Anforderungen gerecht werden. Schauen Sie dabei nicht nur in die betroffenen Abteilungen. Der Wechsel kann auch von außerhalb aus dem ruhigen Bereich des Unternehmens erfolgen. 

5.) Schulen Sie die Mitarbeiter entsprechend. Im normalen Tagesgeschäft, um die Aufgabe erst einmal kennen zu lernen. Dann in der Spitze, um die besonderen Anforderungen in dieser Ausnahmezeit zu bewältigen.

6.) Entwickeln Sie Kennzahlen zum Messen der Spitze. Achten Sie hierbei auf drei Kategorien: a) Kennzahlen, mit denen eine Spitze erfasst werden kann.  b) Kennzahlen, mit denen eine Spitze prognostiziert werden kann.  c) Kennzahlen, mit denen die Arbeitslast in der Spitze gemessen werden kann. Machen Sie Ausschreibungen. Ermitteln Sie den Verlauf der Spitze. Ändert er sich über die Monate? Sind Trends erkennbar? Alles das lässt sich prognostizieren. Und was sich prognostizieren lässt, ist planbar. Das spart Zeit und Kosten. Und senkt die Reserve, die Sie notfalls vorhalten müssen, um eine Spitze abzudecken.

7.) Belassen Sie die Bearbeitung der Spitze im Unternehmen. Outsourcing darf nicht die Spitzenlast betreffen!!!  Denn gerade diese stellt besondere Anforderungen.  Da es sich meistens um Auftrags- oder Reklamationsspitzen handelt. Hier schlägt ein Fehler besonders stark für das Geschäft durch.

8.) Kontrollieren Sie: war ich erfolgreich? Habe ich die Kapazität abgedeckt? Konnte ich meine Qualität halten? Habe ich meine Ziele erreicht? Sind meine Kunden zufrieden?...
Stimmt das Ergebnis- Prima. Wenn nein, gehen Sie nach oben und beginnen Sie bei Schritt eins.

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